Litauen


Es ist Acht Uhr morgens und ich habe erst zwei Stunden geschlafen. Nein wir sind nicht mehr in Danzig. Der Grund für meinen Schlafentzug ist unsre Überfahrt nach Klaipėda. Ich hatte ja gehoffte meine Zöglinge mit einer geruhsamen, romantischen, schwachwindigen Nachtfahrt endlich auch davon überzeugen zu können, dass das Segeln auch zu den positiven Bestandteilen unserer Reise gehört und nicht nur zur Überbrückung der Strecken dient. Na das wäre dann wohl in die Hose gegangen. Diese Zeilen schrieb ich in mein Notizbuch, während wir hoch am Wind Richtung Klaipėda rauschten und längst noch kein Land in Sicht hatten. Ich ahnte nicht, dass der bisherige Teil der Überfahrt noch der Angenehmere gewesen sein sollte.
Wir hatten Danzig am 28. Juli gegen Mittag verlassen und uns gemeinsam mit einer sehr viel größeren ebenfalls deutschen Yacht nach Klaipėda aufgemacht. Vor uns lag die längste Etappe unserer Ostsee-Umsegelung: 120 Seemeilen also etwa 30 Stunden Fahrt.
Der Wind kam zunächst nicht aus der richtigen Richtung, von Danzig aus konnten wir die ersten Wegpunkte grade noch hoch am Wind erreichen. Gegen Abend wurde es dann schwachwindiger und der Wind kam bald von hinten, sodass wir unter Spinnaker in die Nacht segelten. Ja wir guckten sogar auf Hannahs Laptop einen Film im Cockpit (ich weis das klingt bescheuert aber wenn um einen herum nur schwarze Nacht zu sehen ist…) Dann begann der Wind zu spinnen. Zunächst frischte er auf, so dass wir hastig den Spinnaker bargen, dann schlief er ein und ließ sich für den Rest der Nacht nicht mehr blicken. Dafür tauchten am Horizont Gewitter auf, die uns etwas Angst machten, aber alle knapp an uns vorbei zogen. Als ich früh morgens meine Wache übernahm schien der Wind sich grade zu besinnen. Mit Halbwind (Wind von der Seite) rauschten wir über die noch glatte Ostsee, während die Sonne vor uns aufging. Gerda lief sogar so ausgewogen, dass ich die Steuerpinne festkeilen und mir unter Deck Frühstück machen konnte.
Während die Anderen noch schliefen und Ich im Cockpit mein Müsli mit viel Kakaopulver futterte, überkam mich endlich ein Gefühl der Zufriedenheit. So konnte es weitergehen. Allein das Wetter hatte noch reichlich anderes mit uns vor. Gegen halb neun musste ich das grade begonnene Schreiben dieses Posts aufgeben. Der Wind hatte uns auf die Nase gedreht (kam von Vorn) und Ich musste nun konzentriert hoch am Wind steuern. Als Malte und Hannah aufstanden, konnten wir schon nicht mehr auf Klaipėda zufahren, weil dort der Wind herkam, der nun auch kräftig zulegte und eine ungemütliche kurze Welle mitbrachte, die das Bordleben anstrengend machte.
Gegen Nachmittag hatten wir uns durch einiges Kreuzen (Zickzacksegeln am Wind) endlich in die Lage versetzt Klaipėda anzuliegen (direkt darauf zufahren zu können). Der Wind kam immer noch schräg von vorn und so beachteten wir zunächst kaum die imposante Gewitterfront, die sich paradoxerweise von Hinten näherte. Ich habe ja schon oft von Fronten geschrieben, die nach viel aussehen und es dann doch nicht in sich haben. So knipsten wir zunächst noch recht furchtlos den sich gespenstisch transformierenden Böenkragen, der mit großer Geschwindigkeit über uns hinweg zog. Dann zeigte sich, dass diese Front es durchaus und überaus in sich hatte. Die Böen die uns trafen, ließen Gerda auf Anhieb aus dem Ruder laufen (Boot dreht unkontrolliert bis es mit Wind von vorn stehenbleibt). Nun doch etwas in Panik rissen wir unkoordiniert die Segel runter und starteten den Motor. Unterdessen hatte das Gewitter uns erreicht. Zu allen Seiten sahen wir Blitze, folglich waren wir mitten drin. Kein gutes Gefühl wenn man weiß, dass man der einzige Mast im Umkreis von dreißig Kilometern ist. In zusammengekauerter Blitzabwehrhaltung und ernsthaft um unser Leben fürchtend, motorten wir, um möglichst schnell durch zu kommen, mit Vollgas in die Richtung aus der das Unwetter gekommen war. Klaipėda lag in die entgegengesetzte Richtung.
Über das was passiert, wenn ein Boot vom Blitz getroffen wird, kursieren die schrecklichsten Gerüchte, aber niemand scheint wirklich zu wissen was passiert (Vielleicht gibt es einfach keine überlebenden Augenzeugen). Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei. Als Wir jedoch grade den Motor ausschalten und wieder Segel setzen wollten, sahen wir am Horizont das nächste Gewitter ankommen. Noch völlig geschockt und in Panik, versuchten wir, wiederum unter Motor, der ostwärts ziehenden Wolke nach Süden auszuweichen. Mein Verstand wehrte sich dagegen, ich wusste, die Strecke die wir zurücklegen konnten bis die Wolke uns erreichte war gemessen an den Ausmaßen der Wolke lächerlich. Sie würde uns kriegen oder knapp verfehlen, daran konnten wir nichts ändern. Aber wir motorten weiter gen Süden, weg von Klaipėda.
Ich war während des Gewitters in einen Zustand der Gleichgültigkeit verfallen. Sollten wir alle den Tod durch Blitzschlag sterben, so konnte ich nichts daran ändern. Wir hatten keine Fehler begangen, laut Wetterbericht sollten sich die Gewitterzellen erst jetzt über Polen bilden und nicht schon hier sein. Wir hatten keine Warnungen ignoriert, waren nicht leichtsinnig gewesen, kein Seegericht der Welt konnte mir etwas anhängen. Außerdem, war dies nicht ein würdiger Ort zum sterben? Der Wind hatte sich völlig gelegt, Nebel, Wolken und die vom Regen glattgepeitschten kleinen Wellen hatten einen grauen, runden Raum um uns gebildet, der den Radius unserer Sichtweite hatte. Kein schlechtes Ende für meinen Lebensfilm, praktisch ein „fade to grey“. Als wir nun im wahrsten Sinne des Wortes geflasht im Cockpit saßen und beobachteten, dass das zweite Gewitter uns nicht erwischte, schämte ich mich für diese Gedanken. Es war die erste Situation gewesen die ich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Vom vielen herumschreien während wir die Segel runtergerissen hatten, war ich komplett heiser. Ja es war gefährlich gewesen.
 Mittlerweile war später Nachmittag der Wind hatte gedreht und erlaubte es uns nun Klaipėda anzuliegen, auch wenn wir es immer noch nicht sehen konnten. Also setzten wir viel zu viele Segel und rauschten mit konstant sieben Knoten unserem Ziel entgegen. Die Einfahrt des Hafenkanals erreichten wir mit dieser Geschwindigkeit tatsächlich noch vor Einbruch der Dunkelheit. Jetzt waren wir wieder obenauf. Übermütig setzten wir die litauische Gastflagge, während Gerda die sich vor der Mündung auftürmenden Wellen abritt. Es war Überstanden. Jetzt kam der romantische Teil. Unter Motor tuckerten wir den Hafenkanal aufwärts und betrachteten die Lichter einer neuen, unbekannten Stadt, die sich überall im Wasser spiegelten. Ein freundlicher Offizieller winkte uns an eine Pier und ging mit uns das durch, was bis heute vom klassischen Einklarieren übrig geblieben ist:
„Last Port?“                                      
„Gdansk“,
„What’s the name of the ship?“                                             
„Gerda“,
„How many persons on Board?“
„Three“
„OK Gerda, good luck“
Noch einmal wurde es etwas kompliziert im Lichtergewirr die Hafeneinfahrt zu finden, dann war es geschafft. Am Kai passierten wir ein deutsches Schiff, mehr routinemäßig begrüßte ich den am Heck sitzenden Jungen und Staunte nicht schlecht, als unter dem Lockenschopf Jannis von der Johan Smidt, die wir in Hel getroffen hatten, auftauchte. Wie wir beim Schnack nach dem Anlegen erfuhren, war er mit seinen Eltern und einem weiteren Jungen von der Johan Smidt unterwegs. Er staunte seinerseits nicht schlecht, dass wir uns bei dem Wetter draußen rumgetrieben hatten. In Klaipeda und Umgebung hatte das Unwetter, das wir draußen erlebt hatten einige Pavillons wegfliegen lassen, Bäume entwurzelt, und auch sonst einigen Schaden angerichtet. Außerdem hatte der verzweifelte Anlegeversuch  eines Fremden im Heck von Janis Boot geendet -Was es nur mit dieser Heckcrasherei auf sich hat? Schon in Darlowo haben wir Leute getroffen denen man beim Anlegen das Heck deformiert hatte. Ich hoffe wir sehen nicht noch mehr davon- naja, jedenfalls bin ich mir sicher das sich das Unwetter beim Treffen auf Land verstärkt hatte. Was wir draußen auf See erlebten war durchaus viel Wind aber definitiv kein Orkan, vermutlich nicht einmal Sturmstärke (10 Beaufort) gewesen. Es war ein Gewitter kein Sturm.
Als wir am nächsten Morgen spät aufstanden, waren die Jungen verschwunden. Schade. Stattdessen trudelte die Santa Maria ein. Wir kannten sie aus Danzig, wo ich den Kapitän nach dem Wetterbericht gefragt hatte. Als ich ihm nun von unserer Überfahrt erzählte, nickte er bei jedem Wort, er wusste was sich draußen abgespielt hatte. Schon in Danzig hatte er mehr gewusst als das normale Seewetter, auch wenn sich alles dann eben doch etwas anders entwickelt hatte. Wir tauschten noch unsere sehr ähnlichen Reisepläne aus und hofften uns bald wiederzusehen (ist leider bisher nicht passiert).
Als wir endlich zum Stadtrundgang  aufbrachen war es bereits später Nachmittag und die Stadt war menschenleer. Bei tiefstehender Sonne schlenderten wir über den Theaterplatz und setzten uns am Simon-Dach-Brunnen mit der Statue des Ännchens von Tharau. Der Ort strahlte eine seltsame Stimmung aus, alles an ihm war mit Geschichte verbunden. Zur Sowjetzeit hatte auf diesem Sockel ein Lenin gestanden und vom Balkon des neoklassizistischen Dramentheaters hatte Hitler 1939 die „Rückkehr des Memellandes ins Reich“ verkündet. Den Gebäuden der Altstadt sah man an, dass sie einst reich und repräsentativ gewesen waren. Auf den Speichern am Hafen waren noch verblichene deutsche Inschriften zu erkennen, aber nichts war wirklich renoviert wie wir es in Danzig gesehen hatten. Die Stadt hatte die Last der Geschichte noch nicht abschütteln können und es war eine schwere Last. Wir betraten den Jüdischen Friedhof, eine von einer Mauer umgebene Wiese, aus der nur noch ein Grabstein ragte. Als die Nazis den Friedhof 1939 völlig zerstörten war er offensichtlich aus unerfindlichem Grund unversehrt geblieben. Als wir uns umsahen, fanden wir noch Reste weiterer Grabsteine. Die Trümmer waren in die Friedhofsmauer eingelassen. Auf vielen waren deutsche Innschriften zu lesen, andere trugen deutlich die Spuren der mutwilligen Zerstörung.
Ich fühlte mich von der Geschichte erdrückt, der Fakt, das ich diesen Ost nach 73 Jahren als Deutscher wieder betreten kann lässt mich schlucken. Wir können nichts wieder gut machen.
Als wäre dem Platz nicht schon genug Unrecht wiederfahren, stellten die Sowjets hier eine riesige Funkantenne auf, eines ihrer Fundamente steht heute ausgegraben auf dem Platz. Die Trümmer der Grabsteine wurden kurzerhand als Verstärkung mit eibetoniert, ein hartes Bild.
Neben uns hören wir Deutsche, sie sprechen uns an, sind von der Mannheimer Gemeinschaft für jüdisch-christliche Verständigung und warten grade auf ein Meeting mit dem örtlichen Rabbi. Wir werden kurzerhand eingeladen und dürfen uns die Synagoge von innen ansehen (Malte und Ich natürlich nur mit Kopfbedeckung).Es handelte sich bei dem Gebäude aber nicht um einen Sakralbau wie wir ihn kennen, sondern um eine kleine Baracke auf dem Friedhofsgelände. Drinnen sah es eher aus wie in einem stilvoll eingerichteten Arbeitszimmer. Auf einigen Schreibtischen standen leere Kaffetassen und eine menge Bücher und Notizhefte lagen herum. Das eigentliche Heiligtum, die Thora, war versteckt in einem Wandschrank und mit einem Tuch verhangen. Die Gesellschaft unterhielt sich noch eine Weile wild durcheinander auf Deutsch, englisch und Russisch (der Rabbi war nämlich Russe) und wir erfuhren einiges Interessantes über jüdische Kultur, jüdisches leben und jüdische Schriften.  Als wir die Synagoge schließlich verließen war der Tag so gut wie gelaufen. Es blieb grade noch Zeit den neueren Stadtteil auf der anderen Seite der Danė kurz zu besichtigen und einen unserer Reiseführertipps wahrzunehmen. Die „Viva la Vita Bar“ im zwanzigsten Stock, also auf dem Dach eines Hotels. Von hier aus genossen wir den Sonnenuntergang bevor wir „nach hause“ gingen um  etwas zu essen und dann wiederzukommen. Als wir jedoch schließlich soweit waren hatte die Bar bereits geschlossen. Generell schienen einzig die Stripclubs noch geöffnet zu haben und so blieb uns nichts anderes übrig als noch etwas die Straße entlang zu schlendern, die sicher einmal die Prachtstraße Klaipėdas gewesen war, wo sich jetzt aber schlecht angepasste 70er Jahre Bauten zwischen die einst schönen, aber kaum renovierten Altbauten drängen. Nachdem wir uns schließlich noch einen Skulpturenpark bei Nacht angeschaut hatten, fielen wir müde ins Bett. Für den Nächsten Tag stand die Kurische Nehrung auf dem Plan. Die Crew der Santa Maria hatte uns empfohlen wenn schon nicht Nida so doch mindestens einen der näheren Orte auf der Nehrung zu besuchen. Also machten wir uns gegen Mittag auf, ins nur zehn Seemeilen entfernte Juodkrante. Das Segeln auf dem Kurischen Haff erinnerte etwas an die Schlei, unser Heimatrevier. Wir waren sogar so entspannt, dass wir beim Segeln anfingen „Mensch-Ärger-dich-nicht“ zu spielen ohne uns zu ärgern.

 

1 Kommentar:

  1. Labas!

    Wow, welche eine verrückte und beeindruckende Reise rund um die Ostsee! :)

    Schön, dass ihr auch in Litauen vorbei geschaut habt. :)

    In diesem Sinne allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!

    Viele Grüße
    Alex

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